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MEINE VERSUCHE, UNTERRICHT UND ERZIEHUNG KÜNSTLERISCH-LEBENDIG ZU GESTALTEN
B. war ein äußerst bewegliches, schlankes, sehr blasses Kind, das mich eigentümlich fragend ansah‚ so, als wenn es mich erst prüfen wollte, ehe es mir vertraute. B. gehörte zu denen mit dreijähriger Grundschule. Sie zuckte oft nervös zusammen, zeigte ein sehr unregelmäßiges, hastiges Atmen; die hohe Stirn unter spärlichen blonden Haaren zeigte deutlich große Anstrengung beim Nachdenken, besonders beim Rechnen; dabei war B. ein „begabtes“ Kind. Sobald sie nur glaubte, eine Antwort nicht ganz richtig gegeben zu haben, kämpfte sie mit den Tränen, weinte oft auch bitterlich, reagierte kaum auf freundlichen Zuspruch, schien sich dabei sogar sehr zu schämen. Ihre Sätze bestanden aus einzelnen sehr leise und zusammenhanglos aneinandergereihten Worten, wie ihre Schrift aus lauter einzelnen, sehr sorgfältig gemalten Buchstaben ohne Bindung bestand.
Ich erfuhr dann, daß sie sehr nervöse Eltern habe, daß der ehrgeizige Vater sie geradezu dressierte und quälte mit täglichem „Pauken“. Sie hatte auch in einem Vierteljahr in die dritte Schule sich einzuleben. Angstgefühle durchzogen das ganze Erleben des Kindes, und zwar so stark, daß schon die Atmungsorganisation und Blutzirkulation angegriffen waren. Das zeigte sich besonders deutlich, als B. einmal nach einem Märchen die Angst malte: ein unheimlich sich aufreckendes Gebilde, wie eine rote Blutwelle, die alles rundum zu überfluten, zu ersticken schien. So wahr, so angsterregend konnte das nur jemand machen, der die Angst selbst in sich spürte.
Ich war zuerst völlig ratlos, was ich dabei machen sollte. Ich merkte wohl, das Kind sehnte sich in erster Linie nach Ruhe; so setzte ich es allein auf eine Bank, in seine Nähe die ruhigsten aus der Klasse. Ich nahm es zunächst nur bei solchen Fragen heran, die es unter allen Umständen beantworten konnte, damit sein Selbstvertrauen wachsen könne. Ich lobte es aber nicht, sprach überhaupt so wenig wie möglich mit ihm, weil ich merkte, daß es sich dabei vor den andern geniere und ängste. Und so mußte ich versuchen, ohne Worte mit dem Kinde zu verkehren. Ich bin nicht von selbst auf diesen Gedanken gekommen, sondern ich las damals einen Aufsatz eines Waldorflehrers über „Disziplin“ (Paul Baumann in „Die Drei“, II.Jahrg.April 1922) in den einzelnen Entwickelungsstufen.
Da stand über das mich besonders interessierende Alter der Satz: „Formkraft, musikalische Spannung will es überall spüren, das verhilft ihm (dem Kinde) zur Disziplin.“
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STEIN: DIE MODERNE NATURWISSENSCHAFTLICHE VORSTELLUNGSART UND DIE WELTANSCHAUUNG GOETHES WIE SIE RUDOLF STEINER VERTRITT
Was ist der Teil des Denkens, der in das gewöhnliche Bewußtsein deshalb nicht eingeht, weil dieses Bewußtsein des Denkens nicht anders, als in der Erinnerung habhaft wird?
Die Beantwortung dieser Frage ist von der größten Bedeutung.
Es ist nämlich in der Erinnerung nur d a s festhaltbar, was seinem Wesen nach nicht zerstört wird, wenn man es starr, bewegungslos macht. Die Erinnerung bewahrt zwar äußere Gestalten, Bilder, Formen, auch Werdeprozesse im Objektiven. Wir haben aber kein Erinnerungsvermögen für Werdeprozesse des Denkens. Das Bewegte als Bewegtes, das Lebendige als Lebendiges, kann erinnert werden im Objektiven — das Werden des Denkens selbst aber so wenig, wie eine Pflanze frisch bleiben und Blätter und Blüten entwickeln kann, wenn man sie in ein Herbarium legt. Wir können sozusagen nur den Gedankenleichnam erinnern (Vgl. „Von Seelenrätseln“ - I.Anthropologie und Anthroposophie, II.Max Dessoir über Anthroposophie, III.Franz Brentano (ein Nachruf) von Rudolf Steiner, Berlin, 1917, S.215-218: „Von der Abstraktheit der Begriffe“).
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HEINRICH O.PROSKAUER - ZUM KAMPF UM GOETHES FARBENLEHRE
Folgender Versuch wurde durchgeführt:
Fünf Versuchspersonen bekamen jede Papier und verschiedene Farbenkästen mit Aquarellfarben. Am Nörrenberg’schen Fallapparat wurde ihnen fortwährend dasselbe grüne Bild gezeigt, und der graue Schirm darüber fallen gelassen, so daß sie das rote Nachbild ständig erzeugen konnten. Sie versuchten nun dieses Nachbild, wie es jeder sah, so ähnlich wie möglich, in seinem Farbton zu malen. Das Resultat waren fünf erstaunlich ähnliche Bilder. Es wurde nun eines nach dem andern an den Fallschirm geheftet und das Nachbild neuerdings erzeugt. Völlig übereinstimmend waren die Urteile der Versuchspersonen, inwiefern das gemalte Bild dem gesehenen entsprach oder nicht. Mit Leichtigkeit konnte Übereinstimmung erzielt werden, welches von den fünf Bildern von allen als das am besten getroffene bezeichnet wurde.
Aus den gemalten Bildern, sowie den völlig ubereinstimmenden Urteilen bezüglich des besten Bildes, kann entnommen werden, daß offenbar jeder von der bestimmten gebotenen Farbe die gleiche „geforderte” Farbe sah. Das würde bedeuten, daß eine höhere Gesetzmäßigkeit als die der leiblichen Wirksamkeit der verschiedenen Augenpaare, beim Auftreten der geforderten Farben dominiert.