Edward Snowden - Permanent Record

Permanent Record von Edward Snowden

Kapitel 21, Seite 288

Edward Snowden - Permanent Record - Meine Geschichte - S.Fischer Verlag -   3. Auflage Oktober 2020 - 428 Seiten - ISBN 9783596700691

Inhalt - TEIL 1

1   Der Blick durch das Fenster - 2   Die unsichtbare Mauer - 3   Der Junge vom Beltway - 4   Online - 5   Hacken - 6   Ungenügend - 7   9/11 - 8   9/12 - 9   X-Rays - 10 Überprüft und verliebt - - TElL 2 - 11 Das System  - 12 Homo contractus   - 13 Indoc - 14 Der raf vom Berg - 15 Genf - 16 Tokio  - 17 In der Cloud - 18 Auf der Couch - - TEIL 3 - 19 Der Tunnel - 20 Heartbeat - 21 Whistleblowing - 22 Die vierte Gewalt  - 23 Lesen, Schreiben, Ausführen - 24 Verschlüsseln- 25 Der Junge -26 Hongkong  - 27 Moskau - 28 Aus Lindsay Mills’ Tagebüchern - 29 Liebe und Exil - Dank, Abkürzungsverzeichnis, Quellen 

 

 

WHISTLEBLOWING

Wenn irgendwelche NSA-Angestellten, die nicht mit der von mir verwalteten Sharepoint-Software arbeiteten, überhaupt etwas von Sharepoint mitbekamen, dann waren es die Kalender. Diese glichen allen normalen Kalendern in nichtstaatlichen Einrichtungen, nur waren sie viel umfangreicher: Sie lieferten für die NSA-Mitarbeiter in Hawaii die grundlegende Terminkalender-Schnittstelle für das „Wann und wo muss ich bei einer Besprechung sein?“. Wie spannend es für mich war, so etwas zu verwalten, kann man sich vorstellen. Deshalb bemühte ich mich, es etwas aufzupeppen: Ich sorgte dafür, dass der Kalender immer alle Feiertage aufführte, und damit meine ich wirklich alle: Nicht nur die gesetzlichen Feiertage in den USA, sondern auch Rosch Haschana, Eid al-Fitr, Eid al-Adha oder Diwali.

Aber mein besonderer Liebling war der 17.September. Der Constitution and Citizenship Day, wie er offiziell genannt wird, erinnert an den Tag im Jahr 1787, an dem die Delegierten der Philadelphia Convention das Dokument offiziell ratifizierten oder unterzeichneten. Genaugenommen ist der Verfassungstag kein gesetzlicher Feiertag, sondern nur ein nationaler Gedenktag; mit anderen Worten: Der Kongress hielt das Gründungsdokument unseres Staates und die älteste Verfassung, die heute auf der Welt noch gültig ist, nicht für so wichtig, dass es gerechtfertigt wäre, Menschen deshalb einen bezahlten freien Tag zu gewähren.

Die Intelligence Community hatte zum Verfassungstag immer ein unterkühltes Verhältnis gehabt: Ihre Beteiligung beschränkte sich in der Regel darauf, eine dürre E-Mail in Umlauf zu bringen, die von den Presseabteilungen der Behörden entworfen wurde und die Unterschrift des jeweiligen Direktors trug: außerdem wurde in einer abgelegenen Ecke der Cafeteria ein trostloser kleiner Tisch aufgebaut. Darauf lagen einige kostenlose Exemplare der Verfassung, gedruckt, gebunden und der Regierung gestiftet von den freundlichen. großzügigen Rattenfängern des Cato Institute oder der Heritage Foundation. Die Intelligence Community selbst hatte nur in den seltensten Fällen ein Interesse daran, einen Teil ihrer eigenen Milliarden aufzuwenden, um mittels zusammengehefteter Papierstapel die bürgerlichen Freiheiten zu propagieren.

Dem Personal schien es egal zu sein: Soweit ich weiß, nahm an den sieben Verfassungstagen, an denen ich in der Intelligence Community war, niemand außer mir selbst ein Exemplar vom Tisch. Da ich Ironie fast ebenso liebe wie Gratisgeschenke, nahm ich mir immer mehrere Exemplare, eines für mich selbst, die anderen, um sie auf den Arbeitsplätzen meiner Kollegen zu verteilen. Mein Exemplar lehnte am Zauberwürfel auf meinem Schreibtisch, und eine zeitlang machte ich es mir zur Gewohnheit, beim Mittagessen darin zu lesen. Dabei bemühte ich mich, kein Fett von einem der trostlosen Pizzastücke der Cafeteria auf „We the people“ tropfen zu lassen.

Ich las die Verfassung unter anderem deshalb so gern, weil sie großartige Ideen enthält, aber auch, weil es gute Prosa ist; vor allem aber, weil es meine Kollegen wahnsinnig machte. In einem Büro, in dem man alles, was man ausgedruckt hat, nach der Lektüre in den Reißwolf werfen muss, fiel es immer irgendjemandem auf, wenn gedruckte Seiten auf einem Schreibtisch lagen. Sie fragten: „Was hast Du denn da?“ »Die Verfassung.«

Dann zogen sie ein Gesicht und traten langsam den Rückzug an.

Am Verfassungstag 2012 nahm ich mir das Dokument ernsthaft vor. Ich hatte es in den Jahren zuvor noch nicht ganz gelesen, aber zu meiner Freude stellte ich fest, dass ich die Präambel noch auswendig kannte. Jetzt jedoch las ich sie in voller Länge, von den Artikeln bis zu den Zusätzen. Zu meiner Überraschung wurde ich daran erinnert, dass die Hälfte der zehn Verfassungszusätze, der Bill of Rights, das Ziel hatten, die Strafverfolgung zu erschweren. Der vierte, fünfte, sechste, siebte und achte Verfassungszusatz waren absichtlich und mit Sorgfalt so gestaltet, dass sie Behinderungen schufen und die Möglichkeiten der Regierung, ihre Macht auszuüben und Überwachung zu betreiben, eingrenzten.

Dies gilt insbesondere für den vierten Zusatz, der die Menschen und ihr Eigentum vor staatlicher Kontrolle schützt: Das Recht des Volkes auf Sicherheit der Person und der Wohnung, der Urkunden und des Eigentums, vor willkürlicher Durchsuchung, Verhaftung und Beschlagnahme darf nicht verletzt werden, und Haussuchungs- und Haftbefehle dürfen nur bei Vorliegen eines eidlich oder eidesstattlich erhärteten Rechtsgrundes ausgestellt werden und müssen die zu durchsuchende Örtlichkeit und die in Gewahrsam zu nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen.

Im Klartext heißt das: Wenn Beamte in Deinem Leben herumwühlen wollen, müssen sie zuerst vor einen Richter ziehen und unter Eid einen hinreichenden Verdacht belegen. Das heißt, sie müssen einem Richter erklären, warum sie Grund zu der Annahme haben, dass Du ein bestimmtes Verbrechen begangen hast oder dass man auf Deinem Eigentum oder in einem bestimmten Teil davon ganz bestimmte Indizien für ein ganz bestimmtes Verbrechen finden könnte. Dann müssen sie schwören, dass sie diesen Grund ehrlich und in gutem Glauben angegeben haben. Nur wenn der Richter eine Durchsuchungsanordnung ausstellt, ist es ihnen gestattet, sich auf die Suche zu machen, und auch das nur für begrenzte Zeit.

Die Verfassung wurde im 18.Jahrhundert geschrieben, zu einer Zeit, als Abakusse, Zahnradgetriebe und Webstühle die einzigen Rechenmaschinen waren, zu einer Zeit, in der Wochen oder Monate vergehen konnten, bis eine Nachricht per Schiff den Ozean überquert hatte. Vernünftigerweise kann man davon ausgehen, dass Computerdateien unabhängig von ihrem Inhalt unsere Version der „Urkunden“ in der Verfassung sind. Mit Sicherheit nutzen wir sie wie „Urkunden“. Das gilt insbesondere für unsere Textverarbeitungs-dokumente und Tabellenkalkulationen, unsere Nachrichten und Suchchroniken. Daten sind heute unsere Version von „Eigentum“, ein umfassender Begriff für alles, was wir online besitzen, produzieren, verkaufen und kaufen. Dazu gehören naturgemäß die Metadaten, das heißt die Aufzeichnungen über alles, was wir online besitzen, produzieren, verkaufen und kaufen - und die eine hervorragende Bestandsaufnahme unseres Privatlebens darstellen.

Unsere Clouds, Computer und Telefone sind mittlerweile zu unserer Wohnung geworden: Sie sind ebenso persönlich und intim wie unsere physische Wohnung. Wenn Du anderer Ansicht bist, dann frag ich Dich: Was würdest Du lieber zulassen: Dass Deine Kollegen allein eine Stunde lang in Deiner Wohnung herumlungern oder dass sie auch nur zehn Minuten mit Deinem entsperrten Telefon allein sind?

Die Überwachungsprogramme der NSA und insbesondere die Programme zur Wohnungsüberwachung verhöhnen den gesamten Verfassungszusatz. Die Behörde behauptete, die Schutzbestimmungen des Zusatzartikels würden für das moderne Leben unserer Zeit nicht gelten. In ihrem internen Betrieb behandelte sie die Daten der Bürger nie als deren gesetzlich geschütztes, persönliches Eigentum, und das Datensammeln hielt sie auch nicht für eine „Durchsuchung“ oder „Beschlagnahme“. Nach Ansicht der NSA hätten die Menschen ja die Aufzeichnungen ihres Telefons bereits mit einem „Dritte“ - dem Telefonanbieter - „geteilt“ und damit jedes verfassungsmäßige Anrecht auf Privatsphäre verwirkt. Außerdem beharrte sie darauf, eine „Durchsuchung“ und „Beschlagnahme“ finde nur dann statt, wenn nicht ihre Algorithmen, sondern ihre Datenanalysten aktiv das abfragten, was bereits automatisch gesammelt worden war.

Hätten die Mechanismen der Verfassungsaufsicht ordnungsgemäß funktioniert, wäre diese extremistische Interpretation des vierten Verfassungszusatzes - die besagt, dass schon der Akt, moderne Technik zu benutzen, gleichbedeutend sei mit der Aufgabe des Rechts auf Privatsphäre - vom Kongress und den Gerichten zurückgewiesen worden. Die Gründerväter Amerikas waren politisch ausgefuchst und insbesondere wachsam gegenüber den Gefahren, die durch juristische Winkelzüge und mögliche Bestrebungen eines Präsidenten, Macht an sich zu reißen, drohten. Um solchen Eventualitäten vorzubeugen, konstruierten sie ein System, das in den ersten drei Artikeln der Verfassung festgeschrieben wurde: Es schreibt eine Gewaltenteilung der drei Machtzentren vor, die sich gegenseitig kontrollieren, so dass ein Gleichgewicht gewährleistet ist („Checks and Balances“). Als es aber darum ging, die Privatsphäre amerikanischer Bürger im Digitalzeitalter zu schützen, versagte jedes dieser drei Zentren auf seine eigene Weise: Das ganze System wurde lahmgelegt und fing Feuer. Die Legislative, verkörpert in beiden Häusern des Kongresses, gab ihre Aufsichtsfunktion bereitwillig ab: Selbst als die Zahl der staatlichen Mitarbeiter und privaten Vertragsangestellten in der Intelligence Community explosionsartig zunahm, nahm die Zahl der Kongressabgeordneten, die über die Ressourcen und Tätigkeiten der Intelligence Community im Bilde waren, ständig ab, bis nur noch wenige Mitglieder von Sonderausschüssen in Anhörungen hinter verschlossenen Türen informiert wurden. Und auch sie wurden keineswegs über alle Tätigkeiten der lntelligence Community in Kenntnis gesetzt. Bei den seltenen öffentlichen Anhörungen über die Intelligence Community wurde der Standpunkt der NSA mehr als deutlich: Die Behörde kooperierte nicht, sie war nicht ehrlich und (noch schlimmer): Sie zwang die amerikanische Gesetzgebung durch Klassifikation und Geheimhaltungsbehauptungen, bei ihren Täuschungsabsichten zu kooperieren. 2013 zum Beispiel sagte James Clapper, der damalige Nationale Geheimdienstdirektor, vor dem Kongressausschuss für Nachrichtendienste des US-Senats unter Eid aus, die NSA sammle nicht massenhaft die Kommunikationsdaten amerikanischer Bürger. Auf die Frage: „Sammelt die NSA irgendwelche Daten über Millionen oder Hunderte von Millionen von Amerikanern?“ antwortete Clapper: „Nein, Sir“, und dann fügte er hinzu: „Es gibt Fälle, in denen sie vielleicht unabsichtlich gesammelt werden, aber nicht wissentlich.“ 

Das war eine bewusste, unverschämte Lüge nicht nur gegenüber dem Kongress, sondern auch gegenüber dem amerikanischen Volk. Es waren mehr als nur die paar Kongressmitglieder, vor denen Clapper aussagte, die sehr wohl wussten, dass seine Aussage nicht stimmte, und doch weigerten sie sich oder glaubten, nicht die juristische Befugnis zu haben, ihn deswegen zur Rede zu stellen.

Das Versagen der Justiz war, wenn überhaupt möglich, noch enttäuschender. Der Foreign lntelligence Surveillance Court (FISC), das Gericht, das die Überwachungsaktivitäten der US-Auslandsgeheimdienste beaufsichtigt, ist eine besondere Institution: Seine Sitzungen sind geheim, und er hört ausschließlich Regierungsvertreter an. Das Gericht wurde etabliert, um Einzelgenehmigungen für geheimdienstliche Datensammlung im Ausland auszustellen, und war der NSA gegenüber immer besonders entgegenkommend: Über 99 Prozent der Anträge der Behörden wurden genehmigt, eine Quote, die eher an ein einfaches Durchwinken als an eine abwägende juristische Untersuchung denken lässt. Nach 9/11 erweiterte der Gerichtshof seine Funktion: Er genehmigte nun nicht nur die Überwachung ganz bestimmter Personen, sondern urteilte auch über die Zulässigkeit und Verfassungsmäßigkeit umfassender Überwachungsprogramme, ohne dass irgendwelche Gegenargumente geprüft wurden. Eine Institution, die zuvor die Aufgabe gehabt hatte, die Überwachung des ausländischen Terroristen Nummer 1 oder des ausländischen Spions Nummer 2 zu genehmigen, diente jetzt zur Legitimation der gesamten kombinierten Infrastruktur von PRISM und Upstream Collection. Die juristische Überprüfung dieser Infrastruktur reduzierte sich, wie es die American Civil Liberties Union (ACLU) formuliert hat, auf ein Geheimgericht, das Geheimprogramme unterstützte und zu diesem Zweck heimlich Bundesgesetze neu interpretierte.

Als zivilgesellschaftliche Gruppen wie die ACLU versuchten, die Tätigkeiten der NSA vor gewöhnlichen, öffentlichen Bundesgerichten überprüfen zu lassen, geschah etwas Seltsames. Die Regierung verteidigte sich nicht mit der Begründung, die Überwachungstätigkeiten seien legal oder verfassungsgemäß. Stattdessen erklärte sie, die ACLU und ihre Mandanten hätten kein Recht, vor Gericht zu ziehen, denn sie könnten nicht beweisen, dass ihre Mandanten überwacht worden seien. Außerdem könne die ACLU auch nicht auf dem Klageweg Belege für die Überwachung einfordern, denn die Existenz (oder Nichtexistenz) solcher Belege sei „ein Staatsgeheimnis“, und an Journalisten durchgesteckte Informationen zählten nicht. Mit anderen Worten: Die Gerichte konnten Informationen, die in den Medien verbreitet und damit öffentlich gemacht worden waren, nicht anerkennen; anerkennen konnten sie nur Informationen, von denen die Regierung offiziell bestätigte, dass sie öffentlich bekannt waren. Diese Berufung auf die Geheimhaltung hatte zur Folge, dass weder die ACLU noch irgendjemand anderes die Klageberechtigung nachweisen und eine legale Klage vor einem Bundesgericht erheben konnte. Zu meinem Entsetzen entschied sich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Februar 2013 mit fünf zu vier Stimmen dafür, die Argumentation der Regierung zuzulassen; die Klagen von ACLU und Amnesty International gegen die Massenüberwachung wurden abgewiesen, ohne dass hinterfragt wurde, ob die Tätigkeiten der NSA legal waren.

Und schließlich war da noch die Exekutive als Hauptverantwortliche für den Verfassungsbruch. Das Präsidialamt hatte über das Justizministerium den Sündenfall begangen, im Nachgang des 11.September 2001 mit geheimen Anweisungen die Massenüberwachung zu genehmigen. In den folgenden beiden Jahrzehnten haben sich die Übergriffe der Exekutive fortgesetzt: Regierungen beider Parteien versuchen weiterhin, einseitig zu handeln und mit Verfahrensanweisungen das Gesetz zu umgehen. Verfahrensanweisungen können nicht juristisch angefochten werden, weil sie wegen ihrer Geheimhaltung nicht öffentlich bekannt werden.

Das System unserer Verfassung in seiner Gesamtheit funktioniert nur, wenn jedes seiner drei Machtzentren wie beabsichtigt funktioniert. Wenn alle drei nicht nur versagen. sondern absichtlich und koordiniert versagen, ist eine Kultur der Selbstermächtigung die Folge. Ich war verrückt genug gewesen zu glauben, der Oberste Gerichtshof, der Kongress oder Präsident Obama - der mit seiner Regierung auf Distanz zu der des Präsidenten George W. Bush zu gehen versuchte - würden die Intelligence Community irgendwann juristisch zur Verantwortung ziehen, für irgendetwas. Es war an der Zeit, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass die Intelligence Community glaubte, sie stehe über dem Gesetz. Und angesichts der Tatsache, dass das System wirklich ruiniert ist, schienen sie recht zu haben. Die Intelligence Community verstand die Regeln unseres Systems mittlerweile besser als diejenigen, die es geschaffen hatten, und dieses Wissen nutzte sie zu ihrem Vorteil.

Sie hatte die Verfassung gehackt.

Die Vereinigten Staaten wurden durch einen Akt des Verrats geboren. Die Unabhängigkeitserklärung war eine empörende Verletzung der Gesetze Englands und doch in jeder Hinsicht der Ausdruck der „natürlichen Rechte“, wie die Gründerväter sie nannten; eines davon war das Recht, sich den Mächten zu widersetzen und sich aus prinzipiellen Gründen entsprechend den Vorschriften des eigenen Gewissens aufzulehnen. Bereits ein Jahr später, 1777, übten Amerikaner dieses Recht aus: die ersten Whistleblower der amerikanischen Geschichte. Diese Männer waren wie so viele meiner männlichen Verwandten Seeleute. Offiziere der Kontinentalmarine, die zur Verteidigung ihres neuen Landes zur See fuhren. Während der Revolution dienten sie auf der U.S.S. Warren, einer Fregatte mit 32 Kanonen unter dem Kommando des Commodore Esek Hopkins, der auch Oberbefehlshaber der Kontinentalmarine war. Hopkins war ein fauler, unbelehrbarer Befehlshaber, der sich weigerte, sein Schiff in den Kampf zu führen. Außerdem behaupteten seine Offiziere, sie seien Zeugen geworden, wie er britische Kriegsgefangene schlug und hungern ließ. Zehn Offiziere der Warren erstatteten über all dies auf dem Dienstweg Bericht, nachdem sie ihr Gewissen befragt und kaum einen Gedanken auf ihre Karriere verschwendet hatten.

Sie schrieben an den Marineausschuss:

Hochverehrte Herrn,

wir, die wir diese Petition vorlegen, sind an Bord des Schiffes Warren tätig mit dem ernsten Wunsch und der festen Erwartung, unserem Land einen Dienst erweisen zu können. Wir sind immer noch um das Wohl Amerikas besorgt und wünschen uns nichts sehnlicher, als es in Frieden und Wohl- stand zu sehen. Wir sind bereit, alles zu riskieren, was uns lieb ist, und wenn notwendig unser Leben für das Wohlergehen unseres Landes zu opfern. Wir sind begierig darauf, aktiv an der Verteidigung unserer verfassungsmäßigen Freiheiten und Vorrechte gegen die ungerechten, grausamen Ansprüche von Tyrannei und Unterdrückung mitzuwirken; aber wie die Dinge jetzt an Bord dieser Fregatte stehen, scheint es keine Aussicht zu geben, dass wir in unserer gegenwärtigen Stellung nützlich sein können. In dieser Lage sind wir schon seit einer beträchtlichen Zeit. Wir sind persönlich gut vertraut mit dem wahren Charakter und Betragen unseres Kommandanten Commodore Hopkins, und wir bedienen uns dieser Methode, weil wir keine andere Möglichkeit haben, ehrlich und bescheiden den ehrwürdigen Marineausschuss zu bitten, er möge Erkundigungen über seinen Charakter und sein Betragen anstellen, denn wir vermuten, dass sein Charakter so ist und dass er sich solcher Verbrechen schuldig gemacht hat, dass er völlig ungeeignet für das Amt ist, das er heute ausübt, von welchen Verbrechen wir, die Unterzeichneten, ausreichend Zeugnis ablegen können.

Nachdem der Marineausschuss diesen Brief erhalten hatte, leitete er Ermittlungen gegen den Commodore Hopkins ein. Dieser reagierte mit der Entlassung seiner Offiziere und der Mannschaft, und in einem Wutanfall strengte er eine Verleumdungsklage gegen den Oberfähnrich Samuel Shaw und den Dritten Leutnant Richard Marvin an, die beiden Offiziere, die eingeräumt hatten, die Petition verfasst zu haben. Der Prozess wurde vor den Gerichten von Rhode Island geführt, dessen letzter Kolonialgouverneur Stephen Hopkins gewesen war, ein Mitunterzeichner der Unabhängigkeits-erklärung und der Bruder des Commodore.

 Der Fall wurde einem Richter zugeteilt, den Gouverneur Hopkins ernannt hatte. Bevor jedoch der Prozess begann, wurden Shaw und Marvin von John Grannis gerettet, ebenfalls Offizier der Navy, der sich über die Hierarchie hinwegsetzte und den Fall unmittelbar dem Kontinentalkongress vorlegte. Im Kongress befürchtete man, dass ein Präzedenzfall geschaffen werden könnte. wenn militärische Beschwerden über Pflichtverletzungen zu einer Strafrechtlichen Verleumdungsklage führten, und griff ein. 

 Am 30.Juli 1778 entband der Kongress Commodore Hopkins vom Kommando, wies das Schatzamt an, Shaw und Marven die ihnen gesetzlich zustehenden Bezüge auszuzahlen, und verabschiedete einstimmig das erste amerikanische Gesetz zum Schutz von Whistleblowern. Dieses Gesetz erklärte, es sei die Pflicht aller Personen im Dienst der Vereinigten Staaten und auch aller ihrer anderen Bewohner, den Kongress oder jede andere geeignete Behörde so früh wie möglich über jedes Fehlverhalten, jede Arglist oder Übertretung in Kenntnis zu setzen, die von gleich welchen Beamten oder Personen im Dienste dieser Staaten begangen werden und ihnen zur Kenntnis gelangen.

 Das Gesetz gab mir Hoffnung und gibt sie mir noch heute. Selbst in den dunkelsten Stunden der Revolution, als die Existenz des Landes auf dem Spiel stand, begrüßte der Kongress den Dissens aus Gewissensgründen und die daraus resultierenden Handlungen nicht nur, sondern er schrieb sie sogar als Pflicht fest. In der zweiten Hälfte des Jahres 2012 war ich entschlossen, dieser Pflicht selbst nachzukommen, auch wenn ich wusste, dass ich meine Enthüllungen erst zu einem späteren Zeitpunkt machen würde - einem Zeit- punkt, der sowohl günstiger als auch zynischer war. Kaum einer meiner Vorgesetzten bei der Intelligence Community hätte seine Karriere für die gleichen amerikanischen Prinzipien geopfert, für die Militärangehörige regelmäßig ihr Leben aufs Spiel setzen. Und den Dienstweg zu beschreiten - die Intelligence Community bevorzugt die Bezeichnung „die richtigen Kanäle“ - kam für mich ebenso wenig in Frage wie für die zehn Männer, die zur Besatzung der Warren gehörten. Meine Vorgesetzten waren sich nicht nur dessen bewusst, was die Behörde tat, sondern erteilten aktiv die Befehle dazu. Sie waren Komplizen.

 In Organisationen wie der NSA, bei denen Übergriffe strukturimmanent sind, so dass sie nicht mehr auf Einzelinitiativen zurückgehen, sondern Teil einer Ideologie sind, können die richtigen Kanäle nur zu einer Falle werden, in der man Ketzer und in Ungnade Gefallene fängt. Das Versagen des Dienstweges hatte ich schon damals in Warrenton und dann wieder in Genf erlebt, wo ich im Verlauf meiner Tätigkeiten eine Sicherheitslücke in einem wichtigen Programm entdeckt hatte. Ich berichtete über die Sicherheitslücke, und als daraufhin nichts geschah, berichtete ich auch das. Meine Vorgesetzten waren darüber nicht glücklich, weil auch ihre Vorgesetzten nicht glücklich waren. Die Einhaltung des Dienstweges ist eine unbedingte Verpflichtung, das hatte ich verstanden.

 Als Mitglied einer Küstenwachen-Familie war ich immer davon fasziniert gewesen, dass ein großer Teil des Wortschatzes, der in der englischen Sprache mit Enthüllungen zu tun hat, einen nautischen Hintergrund hat. Schon vor der Zeit der U.S.S. Warren konnten Organisationen ebenso wie Schiffe ein Leck haben. Nachdem der Dampf den Wind als Triebkraft abgelöst hatte, wurden Absichten und Notfälle auf See signalisiert, indem man in eine Pfeife blies (whistleblowing): ein Pfiff für das Passieren auf Backbord, zwei Pfiffe für das Passieren auf Steuerbord, fünf als Warnung.

 In den europäischen Sprachen sind die gleichen Begriffe häufig mit politischen Konnotationen verbunden, die durch den historischen Zusammenhang geprägt sind. Im Französischen war das Wort dénonciateur während der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts gebräuchlich, bis es in der Zeit des Zweiten Weltkrieges für einen „Denunzianten“ oder „Informanten“ der Deutschen gebraucht wurde, so dass man nun lieber von einem lanceur d'alerte sprach. Im Deutschen, einer Sprache, die mit der Nazi- und Stasi-Vergangenheit zu kämpfen hat, entwickelten sich neben den ursprünglichen Begriffen Denunziant und Informant auch die wenig befriedigenden Wörter Hinweisgeber, Enthüller, Skandalaufdecker sowie der eindeutig politisch konnotierte Begriff ethische Dissidenten. Solche Begriffe

werden in Deutschland online allerdings kaum gebraucht; bei den heutigen internetbasierten Enthüllungen hat man das Substantiv „Whistleblower“ und das Verb „leaken“ übernommen. In Regimen wie Russland oder China werden dagegen Begriffe benutzt, die einen abwertenden Beiklang im Sinne von „Petzen“ oder „Verraten“ haben. In solchen Gesellschaften müsste es eine starke freie Presse geben, damit derartige Wörter mit einer positiveren Färbung versehen oder neue geprägt würden, die Enthüllungen nicht als Verrat, sondern als ehrenwerte Pflicht darstellen.

 Letztlich zeigt sich in jeder Sprache einschließlich des Englischen in der Art, wie sie den Akt der Enthüllung definiert, die Beziehung der jeweiligen Kultur zur Macht. Selbst die aus der Seefahrt abgeleiteten englischen Wörter, die eigentlich neutral und positiv besetzt sind, stellen den Akt aus Sicht der Institution dar, der nach ihrer eigenen Wahrnehmung Unrecht widerfahren ist, und nicht aus Sicht der Öffentlichkeit, aus deren Perspektive die Institution versagt hat. Wenn eine Institution ein Leak beklagt, sagt sie damit unausgesprochen auch, der Leaker habe etwas beschädigt oder sabotiert.

 Heute werden die Wörter leaken und Whistleblowing häufig in der gleichen Bedeutung verwendet. Nach meiner Vorstellung sollte man aber leaken anders gebrauchen, als es üblich ist. Man sollte damit Akte der Enthüllung beschreiben, die nicht aus öffentlichem Interesse vollzogen werden, sondern aus Eigeninteresse oder weil man institutionelle oder politische Ziele verfolgt. Genauer gesagt verstehe ich unter einem Leak etwas, das eher einem Einpflanzen ähnelt oder dem Aussäen von Propaganda: Man gibt selektiv geschützte Informationen preis, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen oder eine Wirkung auf Entscheidungsprozesse zu erzielen. Heute vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein „nicht genannter“ oder „anonymer“, leitender Beamter mit einem Hinweis oder einem Tipp an einen Journalisten etwas enthüllt, irgendein als geheim eingestuftes Thema preisgibt, um so seine eigenen Ziele voranzubringen oder die Bemühungen seiner Behörde oder Partei zu unterstützen.

 Das vielleicht krasseste Beispiel für diese Dynamik ist ein Vorfall aus dem Jahr 2013: Angehörige der lntelligence Community wollten die Bedrohung durch den Terrorismus aufblähen und die Kritik an der Massenüberwachung abwehren: zu diesem Zweck offenbarten sie einigen Nachrichten-Websites außerordentlich detaillierte Berichte über eine Telefonkonferenz zwischen dem Al-Qaida-Anführer Aiman az-Zawahiri und seinen weltweit verstreuten Partnern. Bei dieser sogenannten Weltuntergangs-Telefonkonferenz besprach az-Zawahiri angeblich die Zusammenarbeit seiner Organisation mit Nasser al-Wuhayshi, dem Anführer von Al-Qaida im Jemen, sowie mit Vertretern der Taliban und von Boko Haram. Indem die lntelligence Community preisgab, dass sie in der Lage war, diese Telefonkonferenz abzuhören - wenn wir der Enthüllung glauben, die nur aus einer Beschreibung der Konferenz, nicht aber aus einer Aufzeichnung bestand -, beraubte sie sich unwiderruflich eines außergewöhnlichen Mittels, das ihr erlaubte, sich zukünftig Kenntnis über die Pläne und Absichten von höchstrangigen Terroristenführern zu verschaffen, und das nur wegen eines kurzfristigen politischen Vorteils im Nachrichtenzyklus. Nicht eine Person wurde deswegen angeklagt, obwohl die Aktion mit ziemlicher Sicherheit illegal war und Amerika um die Möglichkeit brachte, weiterhin die angebliche Al-Qaida-Hotline anzuzapfen.

 Die politische Klasse der Vereinigten Staaten hat immer wieder ihre Bereitschaft unter Beweis gestellt, Leaks hinzunehmen oder sogar selbst zu produzieren, wenn sie ihren eigenen Zwecken dienten. Die lntelligence Community vermeldet häufig „Erfolge“, ungeachtet ihrer Einstufung als geheim und ungeachtet der Konsequenzen. In der jüngeren Vergangenheit war das nirgendwo offensichtlicher als bei den Leaks im Zusammenhang mit der ohne rechtliche Verfahren durchgeführten Tötung des in Amerika geborenen extremistischen Geistlichen Anwar al-Awlaki im Jemen. Indem die Obama-Regierung den bevorstehenden Angriff auf al-Awlaki in aller Eile von der Washington Post und der New York Times veröffentlichen ließ, gab sie indirekt zu, dass es das Drohnenprogramm der CIA ebenso gibt, wie ihr „Einsatzraster“‚ das heißt ihre Tötungsliste, die beide offiziell streng geheim sind. Zusätzlich bestätigte die Regierung damit implizit, dass sie sich nicht nur an gezielten Tötungen beteiligte, sondern auch an der gezielten Tötung amerikanischer Staatsbürger. Diese Leaks, die wie eine Medienkampagne aufgezogen wurden, waren ein erschreckender Beweis dafür, wie der Staat je nach Situation mit der Geheimhaltung umgeht: Sie muss aufrechterhalten werden, wenn die Regierung ungestraft davonkommen will, sie kann aber auch jederzeit gebrochen werden, wenn die Regierung einen Erfolg verkünden will.

 Nur in diesem Zusammenhang ist die zwiespältige Beziehung der US-Regierung zum Thema Leaking in vollem Umfang zu verstehen. Sie hat „nichtautorisierte“ Leaks verziehen, wenn sie zu unerwartetem Nutzen geführt haben, und „autorisierte“ Leaks vergessen, wenn sie Schaden anrichteten. Aber wenn die Schädlichkeit und die fehlende Autorisierung eines Leaks - ganz zu schweigen von seiner in der Natur der Sache liegenden Illegalität - für die Reaktion der Regierung kaum von Bedeutung sind, was dann? Was ist der Grund dafür, dass die eine Enthüllung zulässig ist und die andere nicht?

 Die Antwort lautet: Macht. Die Antwort lautet: Kontrolle. Eine Enthüllung wird nur dann als hinnehmbar angesehen, wenn sie die grundlegenden Privilegien der betreffenden Institution nicht in Frage stellt. Angenommen, alle Ebenen einer Organisation von der Poststelle bis zur Vorstandsetage sind gleichermaßen in der Lage, interne Angelegenheiten zu erörtern, dann haben ihre Führungskräfte die Kontrolle über die Information verloren, und die weitere Funktionsfähigkeit der Organisation ist gefährdet. Seine Stimme unabhängig von der Verwaltungs- oder Entscheidungshierarchie einer Organisation zu erheben ist die eigentliche Bedeutung des Begriffs Whistleblowing: Es ist ein Akt, der für die Intelligence Community, die auf der Grundlage strenger Abschottung unter einem juristisch abgesegneten Schleier der Geheimhaltung operiert, besonders bedrohlich ist.

 Ein Whistleblower ist nach meiner Definition eine Person, die durch bittere Erfahrungen zu dem Schluss gelangt ist, dass ihr Leben innerhalb einer Institution sich nicht mehr mit den Prinzipien verträgt, die sie in der Gesellschaft außerhalb dieser Institution entwickelt hat. Einer Gesellschaft, der ihre Loyalität gilt und der gegenüber auch die Institution Rechenschaft ablegen müsste. Eine solche Person weiß, dass sie nicht innerhalb der Institution verbleiben kann, und sie weiß auch, dass die Institution nicht aufgelöst werden kann und nicht aufgelöst werden wird. Eine Reform der Institution ist aber vielleicht möglich, also bläst sie die Pfeife und legt die Information offen, um so öffentlichen Druck zu erzeugen.

 Das ist eine zutreffende Beschreibung meiner Situation, etwas Wichtiges kommt aber noch hinzu: Alle Informationen, die ich offenlegen wollte, waren als streng geheim klassifiziert. Um im Zusammenhang mit geheimen Programmen die Pfeife zu blasen, musste ich auch das umfassendere System der Geheimhaltung „verpfeifen“. Ich musste offenlegen‚ dass Geheimhaltung kein absolutes staatliches Vorrecht ist, wie es die Intelligence Community behauptete, sondern dass es ein gelegentlich anzuwendendes Privileg ist, dass die Intelligence Community missbrauchte, um eine demokratische Kontrolle zu vereiteln. 

 Wenn nicht das ganze Spektrum dieser systembedingten Geheimhaltung ans Licht kam, bestand keine Hoffnung, das Machtgleichgewicht zwischen den Bürgern und ihrer Regierung wiederherzustellen. Dieses Motiv der Wiederherstellung halte ich für eine wesentliche Voraussetzung des Whistleblowing: Es kennzeichnet die Enthüllung nicht als radikalen Akt des Abweichlertums oder Widerstands, sondern als einen konventionellen Akt der Rückkehr: Das Schiff erhält das Signal, zum Hafen zurückzukehren, wo es auseinandergenommen und generalüberholt wird. Seine Lecks werden gestopft, und es kann erneut in See stechen.

 Eine vollständige Offenlegung des gesamten Apparats der Massenüberwachung, und zwar nicht durch mich, sondern durch die Medien, die de facto das vierte Machtzentrum (oder die vierte Gewalt) der US-Regierung bilden und durch die Bill of Rights geschützt sind: Das war die einzige angemessene Antwort auf das Ausmaß des Verbrechens. Es würde nicht reichen, nur einen bestimmten Übergriff oder eine Reihe von Übergriffen offenzulegen, denn die Behörde würde sie einstellen (oder zumindest so tun als ob), während der Rest des Schattenapparats intakt bliebe. Ich war vielmehr entschlossen, eine einzige, aber allumfassende Tatsache ans Licht zu bringen: Meine Regierung hatte ein globales System der Massenüberwachung entwickelt und eingesetzt, ohne dass die Bürger etwas davon wussten oder sich einverstanden erklärt hatten.

 Whistleblower können auf jeder Ebene einer Institution auserkoren werden, einfach durch Zufall. Die digitale Revolution hat uns aber in ein Zeitalter versetzt, in dem die größten Effekte zum ersten Mal in der Geschichtsschreibung von ganz unten kommen werden, aus den Rängen, die traditionell den geringsten Anreiz haben, den Status quo aufrechtzuerhalten. Und diese unteren Ränge sind in der Intelligence Community wie in praktisch jeder anderen übergroßen, dezentralen Institution, die auf Computer angewiesen ist, durchsetzt von Technikern wie mir. Ihre Zugangsberechtigung zu lebenswichtiger Infrastruktur steht in einem krassen Missverhältnis zu ihrer formalen Befugnis, Einfluss auf die Entscheidungen der Institution zu nehmen. Mit anderen Worten: In der Regel besteht ein Ungleichgewicht zwischen dem, was Leute wie ich wissen sollen, und dem, was wir wissen können, aber auch zwischen unseren geringfügigen Möglichkeiten, die Kultur in der Institution zu verändern, und unseren riesigen Möglichkeiten, uns mit unseren Bedenken an die Gesellschaft zu wenden. 

 Solche technischen Privilegien können zweifellos missbraucht werden - schließlich haben die meisten Techniker, die auf Systemebene arbeiten, Zugang zu allem. In ihrer extremsten Form werden diese Privilegien aber in Fällen ausgenutzt, welche die Technologie selbst betreffen. Die Fähigkeiten eines Spezialisten bringen eine gewichtige Verantwortung mit sich. Techniker, die über den systematischen Missbrauch der Technologie berichten wollen, müssen mehr tun, als nur ihre Befunde an die Öffentlichkeit zu bringen, damit die Bedeutung dieser Befunde verstanden wird. Sie haben die Pflicht, Zusammenhänge herzustellen und zu erklären: zu entmystifizieren.

 Etwa ein paar Dutzend der Menschen, die weltweit dazu in der Lage gewesen wären, fanden sich hier. Sie saßen um mich herum im Tunnel. Meine Technikerkollegen kamen jeden Tag ins Büro, setzten sich an ihre Terminals und brachten die Arbeit des Staates voran. Seinen Übergriffen gegenüber waren sie nicht nur nichtsahnend, sondern desinteressiert. Dieser Mangel an Neugier machte sie nicht zu bösen, sondern zu tragischen Gestalten. Ob sie aus patriotischen oder opportunistischen Gründen zur Intelligence Community gestoßen waren, spielte keine Rolle: Wenn sie erst einmal Teil der Maschinerie waren, wurden sie selbst zu Maschinen.

Hinterlassen Sie einen Kommentar