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PETER SELG: DIE ARBEIT DES EINZELNEN UND DER GEIST DER GEMEINSCHAFT
RUDOLF STEINER:
„Denken Sie daran, wozu der Mensch imstande ist, wenn er aus Liebe zu anderen Menschen etwas tut. Da braucht es keine Liebe zum Produkt der Arbeit, da braucht es ein Band zwischen Mensch und Mensch. Die Liebe zum Produkt können Sie bei der Menschheit nicht zurückbringen, denn die war an primitive, einfache Verhältnisse gebunden. Dasjenige aber, was die Zukunft bringen muss, das ist die große, allumfassende Verständigung und Liebe von Mensch zu Mensch. Ehe nicht ein jeder Mensch aus den tiefsten Impulsen [...] den Antrieb für seine Tätigkeit finden kann, ehe er nicht imstande ist, die Arbeit aus Liebe für seine Mitmenschen zu tun, eher ist es nicht möglich, echte Impulse für eine Zukunftsentwickelung im Sinne des Menschenheils zu schaffen.“ (GA56, 246)
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STIGMATISIERUNG STATT AUFKLÄRUNG, Ansgar Schneider
Dieses Buch ist eine fundamentale Medienkritik. Es zeigt, dass die Debatte über die Ereignisse des 11.Septembers, wie sie in den deutschsprachigen Medien geführt wird, einen starken anti-aufklärerischen Charakter hat.
Der Autor beleuchtet dies aus Sicht der Naturwissenschaften und führt empirische Tatsachen an, die in den großen Medien bewusst oder unbewusst verschwiegen, ungenügend erklärt oder verfälscht dargestellt werden.
Die Medienlandschaft erfüllt ihre Aufgabe im Sinne einer sachgerechten Diskussion nicht.
Das Buch behebt diesen Mangel.
Es gibt einen Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse und offene Fragen.
Eine endgültige Klärung dieser Punkte ist ohne jedes Wenn und Aber mit wissenschaftlichen Methoden möglich, und die Antworten auf die sich ergebenen gesellschaftlichen Fragen müssen mit Nachdruck von den Verantwortlichen in Politik, Justiz und Medien eingefordert werden, sonst verliert die Gesellschaft immer weiter an Wahrhaftigkeit.
Die Klärung dieser Sachverhalte ist nichts weniger als die wichtigste Wissenschaftsbetriebe Debatte unserer Zeit, denn ihr folgt die Frage nach Krieg und Frieden.
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MEINE VERSUCHE, UNTERRICHT UND ERZIEHUNG KÜNSTLERISCH-LEBENDIG ZU GESTALTEN
B. war ein äußerst bewegliches, schlankes, sehr blasses Kind, das mich eigentümlich fragend ansah‚ so, als wenn es mich erst prüfen wollte, ehe es mir vertraute. B. gehörte zu denen mit dreijähriger Grundschule. Sie zuckte oft nervös zusammen, zeigte ein sehr unregelmäßiges, hastiges Atmen; die hohe Stirn unter spärlichen blonden Haaren zeigte deutlich große Anstrengung beim Nachdenken, besonders beim Rechnen; dabei war B. ein „begabtes“ Kind. Sobald sie nur glaubte, eine Antwort nicht ganz richtig gegeben zu haben, kämpfte sie mit den Tränen, weinte oft auch bitterlich, reagierte kaum auf freundlichen Zuspruch, schien sich dabei sogar sehr zu schämen. Ihre Sätze bestanden aus einzelnen sehr leise und zusammenhanglos aneinandergereihten Worten, wie ihre Schrift aus lauter einzelnen, sehr sorgfältig gemalten Buchstaben ohne Bindung bestand.
Ich erfuhr dann, daß sie sehr nervöse Eltern habe, daß der ehrgeizige Vater sie geradezu dressierte und quälte mit täglichem „Pauken“. Sie hatte auch in einem Vierteljahr in die dritte Schule sich einzuleben. Angstgefühle durchzogen das ganze Erleben des Kindes, und zwar so stark, daß schon die Atmungsorganisation und Blutzirkulation angegriffen waren. Das zeigte sich besonders deutlich, als B. einmal nach einem Märchen die Angst malte: ein unheimlich sich aufreckendes Gebilde, wie eine rote Blutwelle, die alles rundum zu überfluten, zu ersticken schien. So wahr, so angsterregend konnte das nur jemand machen, der die Angst selbst in sich spürte.
Ich war zuerst völlig ratlos, was ich dabei machen sollte. Ich merkte wohl, das Kind sehnte sich in erster Linie nach Ruhe; so setzte ich es allein auf eine Bank, in seine Nähe die ruhigsten aus der Klasse. Ich nahm es zunächst nur bei solchen Fragen heran, die es unter allen Umständen beantworten konnte, damit sein Selbstvertrauen wachsen könne. Ich lobte es aber nicht, sprach überhaupt so wenig wie möglich mit ihm, weil ich merkte, daß es sich dabei vor den andern geniere und ängste. Und so mußte ich versuchen, ohne Worte mit dem Kinde zu verkehren. Ich bin nicht von selbst auf diesen Gedanken gekommen, sondern ich las damals einen Aufsatz eines Waldorflehrers über „Disziplin“ (Paul Baumann in „Die Drei“, II.Jahrg.April 1922) in den einzelnen Entwickelungsstufen.
Da stand über das mich besonders interessierende Alter der Satz: „Formkraft, musikalische Spannung will es überall spüren, das verhilft ihm (dem Kinde) zur Disziplin.“
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STEIN: DIE MODERNE NATURWISSENSCHAFTLICHE VORSTELLUNGSART UND DIE WELTANSCHAUUNG GOETHES WIE SIE RUDOLF STEINER VERTRITT
Was ist der Teil des Denkens, der in das gewöhnliche Bewußtsein deshalb nicht eingeht, weil dieses Bewußtsein des Denkens nicht anders, als in der Erinnerung habhaft wird?
Die Beantwortung dieser Frage ist von der größten Bedeutung.
Es ist nämlich in der Erinnerung nur d a s festhaltbar, was seinem Wesen nach nicht zerstört wird, wenn man es starr, bewegungslos macht. Die Erinnerung bewahrt zwar äußere Gestalten, Bilder, Formen, auch Werdeprozesse im Objektiven. Wir haben aber kein Erinnerungsvermögen für Werdeprozesse des Denkens. Das Bewegte als Bewegtes, das Lebendige als Lebendiges, kann erinnert werden im Objektiven — das Werden des Denkens selbst aber so wenig, wie eine Pflanze frisch bleiben und Blätter und Blüten entwickeln kann, wenn man sie in ein Herbarium legt. Wir können sozusagen nur den Gedankenleichnam erinnern (Vgl. „Von Seelenrätseln“ - I.Anthropologie und Anthroposophie, II.Max Dessoir über Anthroposophie, III.Franz Brentano (ein Nachruf) von Rudolf Steiner, Berlin, 1917, S.215-218: „Von der Abstraktheit der Begriffe“).
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WOLFRAM VON ESCHENBACH - PARZIVAL VON WALTER JOHANNES STEIN
Da erzählt sie ihm, alle Samstagnacht, am Saturntag, wenn er zu Ende gegangen ist, erscheint die Gralsbotin Kondrie la Sorzier; für die ganze Woche bringt sie Nahrung. Da fragt er nach dem Ring, Klausnerinnen pflegten doch sonst nicht der Liebschaft. Da sagte sie, sie sei rein, sie trauere um einen Mann, der ihre Minne niemals gewonnen habe, Orilus habe ihn im Kampfe erschlagen. Ihre Treue aber überdaure den Tod. Vor Gott empfinde sie sich mit ihm in rechter Ehe verbunden, anders seien sie nicht getraut gewesen. Da erkannte er Schionatulander und Sigune.Und sie erkannte ihn, indem sie ihm ins Antlitz blickte und seine Züge unter dem Eisenrost wahrnahm. Da fragt sie ihn nach dem Gral:
Ob er seine Kraft nun erkannt habe, ob er den Weg gefunden habe?
Da klagt ihr Parzival sein Leid. Um den Gral trage er Sorge und um die schönste Frau. Zum Gral sei er nicht wieder zurückgekehrt, den Weg habe er nicht gefunden.
Um ihren Rat bittet er sie. Da rät sie ihm: verfolge die Spur der Kondrie, der Gralsbotin. Noch ist es nicht lange, dass sie da war. Die Spuren müssen noch frisch sein, die das Maultier in den Boden getreten hat. An dem Brunnen zwischen den Felsenspalten pflege sie das Maultier festzubinden. Parzival folgt dem Rate, aber die Spur verschwindet.
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HEINRICH O.PROSKAUER - ZUM KAMPF UM GOETHES FARBENLEHRE
Folgender Versuch wurde durchgeführt:
Fünf Versuchspersonen bekamen jede Papier und verschiedene Farbenkästen mit Aquarellfarben. Am Nörrenberg’schen Fallapparat wurde ihnen fortwährend dasselbe grüne Bild gezeigt, und der graue Schirm darüber fallen gelassen, so daß sie das rote Nachbild ständig erzeugen konnten. Sie versuchten nun dieses Nachbild, wie es jeder sah, so ähnlich wie möglich, in seinem Farbton zu malen. Das Resultat waren fünf erstaunlich ähnliche Bilder. Es wurde nun eines nach dem andern an den Fallschirm geheftet und das Nachbild neuerdings erzeugt. Völlig übereinstimmend waren die Urteile der Versuchspersonen, inwiefern das gemalte Bild dem gesehenen entsprach oder nicht. Mit Leichtigkeit konnte Übereinstimmung erzielt werden, welches von den fünf Bildern von allen als das am besten getroffene bezeichnet wurde.
Aus den gemalten Bildern, sowie den völlig ubereinstimmenden Urteilen bezüglich des besten Bildes, kann entnommen werden, daß offenbar jeder von der bestimmten gebotenen Farbe die gleiche „geforderte” Farbe sah. Das würde bedeuten, daß eine höhere Gesetzmäßigkeit als die der leiblichen Wirksamkeit der verschiedenen Augenpaare, beim Auftreten der geforderten Farben dominiert.
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ODILON REDON - SELBSTGESPRÄCH
Ach, welch ein Gegensatz klaffte zwischen dem, was ich bei ihm hörte und dem, was man in den Schulen lehrte.
Was für einen Unterricht haben wir erhalten und selbst die nach mir kommende Generation? Kann ein Lehrer, während seiner Runde im Atelier, jedem mit dem Modell beschäftigten Schüler das richtige, ihn erlösende Wort mitgeben, das hinter jeder Stirn nach dem ihm eigenen Gesetz fruchtbar wird? Nein, schwerlich. In jedem Schüler, jedem Kind birgt sich das überraschende Geheimnis seines Werdens. Wird der Lehrer den Takt, den Scharfblick, die divinatorische Feinheit des Blicks haben, die ersten, stammelnden Versuche seines Schülers zu fruchtbarer Entfaltung zu bringen?
Wer unterrichtet, will, im allgemeinen, nur das Tun der Meister weitergeben, doch, leider, ist er selbst zu dieser Übermittlung nicht befugt. Er gibt sie weiter, so gut er kann, mehr schlecht als recht, wie ein Grammatiklehrer, mittels einer Analyse der großen, zeitüberdauernden Werke der Vergangenheit; aber er gewinnt daraus nur theoretische, auf Formeln gebrachte Erfahrungen, denen die zwingende Kraft der Liebe fehlt. Um glauben zu können, bedarf es der Liebe und, um handeln zu können, des Glaubens: den besten Unterricht wird der erteilen, der den Schüler bereits durch eine Offenbarung des Schöpferischen, die von der Schönheit seiner eigenen Werke ausgeht, zu ergreifen vermochte.
So etwas gibt es heute nicht. Mein Freund Stéphane Mallarmé, den ein wirklich unabhängiger Geist stets beeindruckte, war ebenso für die Abschaffung des Gymnasiums wie für die der Guillotine. Vielleicht dachte er an den Anspruch, den sein Lehrberuf an ihn stellte, gewiß dachte er aber auch an den unzulänglichen Unterricht, den der Student erhält und mit der Menge seiner Kameraden teilen muß. Er findet dort mühsamer zu sich selbst, als wenn er zwanglos allein wäre.
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WALTER JOHANNES STEIN. EINE BIOGRAFIE
Während ich diesem Vortrag zuhörte, sagte ich mir: ,Dieser Mann, der Rudolf Steiner heißt, gibt wirkliche Anweisungen zur Entwicklung eines dreigegliederten hellseherischen Bewusstseins. Nun sagt er mir in seinen Büchern, daß er nichts lehre, was er nicht selbst gefunden habe. Also muß er diese Fähigkeit selbst besitzen; er muß hellsichtig sein. Falls das zutrifft, muß er auch in der Lage sein, meine Gedanken zu lesen; er wird meine jetzigen Gedanken lesen können. Ich kann ihm also Fragen stellen, einfach indem ich sie denke, und er wird sie mir im Verlauf des Vortrages beantworten können.‘ Dies tat ich nun. Ich fragte wieder und wieder, und jedesmal antwortete er.
Da ich jedoch eine kritische und wissenschaftliche Bildung genossen hatte, sagte ich mir: „Warum sollte das nicht einfach eine Illusion sein? Die Fragen, die ich stelle, ergeben sich ja auf logische Weise aus dem Inhalt seines Vortrags. Andererseits entwickelt er aber seinen Gegenstand ebenfalls in logischer Art. Er gibt mir also gar nicht Antwort, es besteht kein Anlass, den Schluß zu ziehen, er müsse sich meiner Fragen bewußt sein. Ich bilde mir bloß ein, daß dies so ist, weil ich wünsche, daß es so wäre.
Nach dem Vortrag ergab sich jedoch die Gelegenheit, aufgeschriebene Fragen abzugeben.
Ich schrieb auf ein Stück Papier:
Was kam zuerst: menschliche Sprache oder menschliche Vernunft?
Rudolf Steiner kam schließlich auch zu meiner Frage, las und beantwortete sie, doch er tat dies nicht von dem Gesichtspunkt aus, den ich im Auge gehabt hatte. Meine Frage war von einem Buch, das ich gelesen hatte, angeregt gewesen, von Lazarus Geigers Buch Ursprung und Evolution der menschlichen Sprache und Vernunft. Ich wollte wissen, auf welche Weise und in welcher gegenseitigen Beziehung sich Sprache und Vernunft in der langen Menschheitsgeschichte entwickelt hatten; er antwortete dagegen nicht vom Gesichtspunkt der Geschichte der Menschheit, sondern von demjenigen der individuellen Entwicklung des Kindes.
Ich war bitter enttäuscht; offensichtlich hatte er meine Frage nicht verstanden. Rudolf Steiner legte meinen Zettel nieder und schwieg einige Augenblicke. Dann nahm er ihn wiederum auf und sagte: ,Was ich eben gesagt habe, gilt nur von einem bestimmten Gesichtspunkt aus; es gibt auch noch einen anderen Aspekt, den der Urheber der Frage im Sinne hatte.‘ Und er ging dazu über, zu zeigen, wie sich in der Entwicklung der Menschheit Sprache und Vernunft, die eine anhand der anderen, entwickelt hatten.
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LEONARDO DA VINCI - VON MICHAEL KUPFERMANN
Meisterworte an seine Schüler
„Höre geduldig alle Meinungen über dein Bild an, wäge sie und überlege, ob diejenigen recht haben, die dich tadeln und Fehler finden. Wenn sie recht haben, verbessere die Fehler; wenn nicht, so tue so, als habest du es nicht gehört. Suche nur solchen Menschen, die wirklich Beachtung verdienen, zu beweisen, daß sie irren. Das Urteil eines Feindes ist oft gerechter und nützlicher als das Urteil eines Freundes. Der Haß sitzt im Menschen fast stets tiefer als die Liebe. Der Blick eines Hassenden ist schärfer als der Blick eines Liebenden. Der wahre Freund ist wie du selbst. Der Feind aber ist verschieden von dir, und das ist seine Stärke. Der Haß wirft Licht auf vieles, was der Liebe verborgen bleibt. Merke dir das und verachte nicht den Tadel deiner Feinde.“
„Vor allen Dingen hüte dich vor groben Umrissen. Die Ränder deiner Schatten auf einem jungen, zarten Körper sollen nicht leblos, nicht steinern sein, sondern leicht, flüchtig und durchsichtig wie Luft. Denn auch der menschliche Körper ist ja durchsichtig, wovon du dich leicht überzeugen kannst, wenn du die Finger gegen die Sonne hältst.
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DREIGLIEDERUNG DES SOZIALEN ORGANISMUS - IN KAISER KARL VON A.POLZER-HODITZ
Es kann praktisch aussehen zu sagen, es habe heute keinen Wert, über die Ursachen des Krieges zu sprechen. Es ist aber gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen das unpraktischste, was sich nur denken läßt. Denn tatsächlich führt die Entente mit ihrer Darstellung der Kriegsursachen seit langem den Krieg. Die Situation, die sie sich geschaffen hat, verdankt sie dem Umstande, daß ihr ihre Darstellung geglaubt wird aus dem Grunde, weil ihr von Deutschland etwas Wirksames noch nicht erwidert worden ist. Während Deutschland zeigen könnte, dass es zum Kriegsausbruche nichts beigetragen hat, dass es in den Neutralitätsbruch gegenüber Belgien nur durch das Verhalten Englands getrieben worden ist, sind die offiziellen Darlegungen Deutschlands bis heute so gehalten, daß kein außerhalb Deutschlands lebender Mensch daran gehindert wird, sich das Urteil zu bilden, es habe in Deutschlands Hand gelegen, den Krieg nicht zu beginnen. Damit ist es nicht getan, daß man die Dokumente so zusammenstellt, wie es geschehen ist. Denn diese Zusammenstellung ergibt eben etwas, was von jedem angezweifelt werden kann, während die ungeschminkte Darstellung der Tatsachen in der Tat Deutschlands Unschuld ergeben müßte. -
ATTENTAT VON SARAJEWO VON ARTHUR GRAF POLZER-HODITZ
Die Bombe fiel an den Rand des herabgelassenen Daches des Autos, glitt von da ab und explodierte vor dem nachfolgenden Wagen der Suiten. Oberstleutnant von Merizzi wurde hierbei nicht unerheblich verletzt und sogleich ins Spital geschafft. Die Herzogin von Hohenberg war durch die wegfliegende Kapsel der Bombe am Hals geritzt worden. Der Attentäter Cabrinovic wurde verfolgt und auf dem anderen Ufer der Miljacka festgenommen. Der Erzherzog-Thronfolger und seine Gemahlin setzten die Fahrt bis zu dem kaum hundert Schritte entfernten Rathaus fort. Dort angelangt, erörterte der Erzherzog mit den Herren seines Gefolges das eben glücklich überstandene Attentat und gab seiner Entrüstung darüber unverhohlen Ausdruck.
Dann wendete er sich sehr ungnädig an Potiorek mit der Frage: „Also, was soll jetzt geschehen, sollen wir die Fahrt fortsetzen? Wird das jetzt so fortgehen mit den Bomben oder nicht?“ Potiorek erwiderte: „Kaiserliche Hoheit, meiner Überzeugung nach wird nichts mehr geschehen. Es gibt jetzt nur zwei Dinge: entweder direkt in den Konak zu fahren oder auf einem Umweg unter Vermeidung der Stadt, um die Bevölkerung zu strafen, ins Museum. Da ist übrigens der Regierungskommissär“ und Potiorek, sich an diesen wendend, stellte die Frage: „Kann die Fahrt ohne Gefahr fortgesetzt werden?“ Dr. Gerde bejahte die Frage. Darauf wendete sich Erzherzog Franz Ferdinand an Potiorek mit folgenden Worten: „Also ich will vorerst unbedingt den Oberstleutnant von Merizzi im Garnisonsspital besuchen. Von dort werden wir ins Museum fahren.“
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DAS ZWÖLFTE LEBENSJAHR VON HERMANN KOEPKE
Nachdem ein halbes Jahr vergangen war, traf Susanne zufällig mit der Mutter in der Stadt zusammen. „Ich wollte Ihnen schon längst etwas erzählen”, begann die Mutter. „Als Brigitta nach Ihrem ersten Besuch die ganze Nacht und auch am Morgen noch nicht zurückgekommen war, fand ich sie am Abend als ein Häuflein Elend in der Küche, nicht mehr — wie vorher — trotzig und voller Abwehr. Wir begannen zuerst nur wenig miteinander zu sprechen. Dann sagte sie: ‚Mutter, ich muß dir einen Traum erzählen.’ — Ich war sehr gespannt. Sie erzählte von einem Keller, der wie ein Schacht gewesen sei und aus dem es keinen Ausweg gegeben habe. Ich hätte da hineingeschaut und sei wieder verschwunden. Erst nach langer Zeit sei ich endlich wieder zurückgekommen und hätte ihr ein Seil hinuntergelassen, an dem sie hochklettern konnte. Das war ihr Traum in jener Nacht”, so schloß die Mutter, „als ich so sehr um die Entscheidung zwischen meinem Lebensgefährten und meiner Tochter gerungen hatte.”
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